„Papa wollte die Oma verbrennen“
Wieder war die Mutter das Opfer: Prozess gegen 41-Jährigen hat begonnen

Innerhalb weniger Tage steht zum zweiten Mal ein Mann vor dem Rottweiler Landgericht, der seine Mutter angegriffen haben soll. Der eine, ein 21-Jähriger und damit aus juristischer Sicht noch Heranwachsender, wurde jüngst wegen Totschlags im Affekt zu einer Haftstrafe verurteilt. Der nächste soll im Suff versucht haben, seine Mutter zu töten. Anschließend habe er das Haus angezündet. Eine der Folgen: Seine Kinder haben Angst vor ihm, seitdem sie erfahren haben, „dass Papa die Oma verbrennen wollte“. Diese Frau, das Tatopfer, sagte jetzt vor dem Landgericht mit fester Stimme aus.
Dieser 41-Jährige ist unter anderem wegen versuchten Mordes angeklagt. Am Freitagmorgen hat der Prozess gegen ihn begonnen. Noch im November soll das Urteil fallen. Der Mann sagt vor Gericht nichts zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Aber er spricht ausführlich über sein Leben. Und sagt, dass er vor der Tat „total abgefuckt“ gewesen sei.
Auf einen Blick
- Ein 41-Jähriger steht wegen versuchten Mordes und Brandstiftung vor dem Rottweiler Landgericht.
- Der Mann hatte laut Anklage geplant, seine Mutter zu töten und das Haus in Brand zu setzen.
- Die Mutter berichtet von einer schwierigen Beziehung zu ihrem Sohn, der als drogenabhängig gilt.
- Der Angeklagte macht von seinem Schweigerecht Gebrauch, gibt aber Einblicke in seine problematische Lebensgeschichte.
- Ein zentraler Aspekt des Prozesses ist, ob der Sohn zum Tatzeitpunkt stark alkoholisiert war und somit vermindert schuldfähig ist.
Scheinbar ungläubig und irritiert
Das mutmaßlich Böse trägt heute Rot. Es kommt in Gestalt eines großgewachsenen, wuchtigen Mannes mit kurzen Haaren und Vollbart, ist an Händen und Füßen gefesselt. Der Mann verbirgt sich nicht, die auf ihn zueilenden Presseleute dürfen ihn ablichten. Er wirkt ein wenig irritiert, als habe er Mühe, das Schauspiel zu verstehen und sich auf das Bevorstehende einzustellen. In den Gerichtssaal geführt zu werden, ist offenbar neu für ihn. Auf die gegen ihn vorgetragenen Vorwürfe reagiert er ebenfalls ungläubig, wie überrascht. Als höre er das zum ersten Mal. Er zeigt eine Leidensmiene, mit gerunzelter Stirn. Die Miene setzt er über den Verlauf des ersten Verhandlungstages lange nicht ab. Seine detaillierte, offene und klare Aussage zu seiner Person, die er ohne Stocken vorträgt, steht später im direkten Widerspruch zu dieser Leidensmiene.
Das zahlreich erschienene Publikum erfährt: Der Mann ist gelernter Altenpfleger, war zuletzt arbeitslos, lebt in Trennung, nennt sich „noch verheiratet“, wie er mit klarer, vielleicht anfangs leicht weinerlicher Stimme sagt. Die Anklage wirft ihm vor, Monate vor der Tat beschlossen zu haben, seine Mutter zu töten. Warum, ist zunächst unklar. In einer Nacht Mitte Februar soll er über den Wintergarten in das Haus seiner Mutter ein- und in ihr Schlafzimmer vorgedrungen sein. Seine Mutter solle „mitsamt dem Haus brennen“, soll er gerufen haben. Er soll sie geschlagen, Feuerwerkskörper auf sie geworfen haben, um sie schwer zu verletzen. Dann brachte er laut Anklage Benzin im Erdgeschoss des Hauses aus und setzte es in Brand – in der Annahme, „dass es seine Mutter nicht mehr aus dem Gebäude schaffen würde“, heißt es in der Anklageschrift, die die Staatsanwältin verliest.
„Gefühllos und unbarmherzig“
Mit gerunzelter Stirn hört der Angeklagte zu. Er wird später erklären, dass er sich nicht zu den Vorwürfen äußern werde. Er macht also von seinem Recht Gebrauch, zu schweigen. Die Strafkammer reagierte darauf, indem sie versuchte, Zeugen früher zu laden als geplant. So die Mutter des Mannes, die als Nebenklägerin gegen ihren Sohn auftritt.
Als „gefühllos und unbarmherzig“ schildert ihn die Anklage, als „heimtückisch und grausam“. Juristisch zählen die ihm vorgeworfenen Taten als versuchter Mord in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung und schwerer Körperverletzung. Außerdem soll er mit Drogen ertappt und als Graffiti-Sprayer unterwegs gewesen und ebenfalls erwischt worden sein.
Bewusstseinsstörung
Schauplatz des Prozesses ist wieder der eindrucksvolle Schwurgerichtssaal des Rottweiler Landgerichts, der geräumigste Verhandlungssaal im Gebäude. Nach Plan wird er in diesem Prozess einen wahren Auflauf erleben: Allein 27 Zeuginnen und Zeugen sind geladen. Zusätzlich wohnen drei Gutachter der Verhandlung bei, von denen einer sein Urteil als Psychiater abgeben wird. Der 41-Jährige habe möglicherweise eine „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ durchlitten, als er seine Mutter angriff. Er soll „alkoholintoxikiert und deshalb nach der Anklage vermindert schuldfähig gewesen sein“, teilte die Pressestelle des Landgerichts Rottweil vor Prozessbeginn mit. Also betrunken. Ein Dolmetscher ist nicht nötig, der Mann ist gebürtiger Deutscher, ein Oberndorfer.

Kindheit im Suff, Prügel von den Eltern bezogen?
Das Haus, das er in Brand gesetzt, in dem er seine Mutter umzubringen versucht haben soll, ist sein Geburtshaus. Ein Bahnwärterhäuschen an der Gäubahn Stuttgart-Singen nahe Sulz. Dort ist auch der mittlerweile verstorbene Vater geboren worden, der vor ein paar Jahren dem Krebs erlegen ist. Der nun vor Gericht stehende Sohn kann den Verlauf der Erkrankung des Vaters und die Behandlung medizinisch detailliert schildern. Das Verhältnis zwischen den beiden: wechselhaft. Zunächst sei er aufsässig gewesen gegen ihn, dann habe er ihn als vertrauten Freund erlebt. Allerdings spricht er auch davon, als Kind teils massiv geschlagen worden zu sein. Auch etwa von der Mutter, mehrere Male, „immer wieder“, sie habe mehrere Kochlöffel auf ihm zerschlagen.
Das weist die Mutter in ihrer Aussage später vehement zurück. Niemals habe sie ihn geschlagen, sagt sie in tiefer Überzeugung.
„Trinker seit der sechsten Klasse
Die Lebensgeschichte des Mannes: Er bezeichnet sich als „Trinker seit der sechsten Klasse“. Nahm neben Cannabis „weitere Drogen“ ab 15 Jahren. Er sei ein Quartalssäufer, habe „Neugier auf die Substanzen“, auf Drogen, gehabt. Sei schon mit elf Jahren betrunken nach Hause gekommen, „ohne dass jemand das gemerkt hat“. Er sei tief abgestürzt, zwischenzeitlich obdachlos, Teil der Punk-Szene, wie er sagt.
Mit 16 Jahren lebte er nach eigenen Angaben als Anarchist bereits in einer linksextremen Wagenburg der autonomen Anti-Castor-Transport-Szene und verdiente seinen Lebensunterhalt durch Betteln und Klauen. Er stand dauerhaft unter Drogen. Heroin, Kokain, Tranquilizer wie Valium, Amphetamine, Ecstasy, Pilze, LSD, Angel Dust, „die ganze Palette“. Eine Freundin hatte er. Wobei es mit ihr nicht leicht gewesen sei. Sie war seinen Worten zufolge schwierig, „und ich hatte auch meine Macken. Wir ziehen uns gegenseitig runter“.
Trotz dieser Vorgeschichte machte er später seine Ausbildung als Altenpfleger, holte seine Fachhochschulreife nach, bildete sich sogar weiter zum Intensivpfleger. Das ist das Ergebnis einer Therapie und dem Engagement seiner Frau, seiner „guten Seele“. Er arbeitet bei einem ambulanten Pflegedienst, mehrere Jahre lang. Doch er kann sich nicht halten, klaut Medikamente, wird beleidigend, bekommt die fristlose Kündigung, stürzt wieder ab, wie er sagt.
Aus dem Quartalssäufer entwickelt sich ein Dauertrinker. Obwohl er eine Familie mit drei Kindern hat, kann er auch seine Drogenprobleme nicht überwinden. „Obwohl ich meine Kinder liebe, habe ich es nicht fertiggekriegt, das mit den Drogen zu lassen und mit den Substanzen.“ Es tue ihm leid, dass er das alles zerstöre. Zuletzt war er wieder ganz unten, getrennt von der Familie, wohnte bei einem Freund in einer Gartenlaube, nutzte einen Kanister und einen Eimer als Toilette. „Ich habe sehr viel getrunken.“
Seine Familie wendet sich von ihm ab. Die Mutter droht mit der Polizei, als er sie zu Hause besuchen will, die Schwester dreht sich angewidert weg, als sie sich zufällig treffen. Er zeigt vor Gericht Unverständnis.
„Nach alldem, was in den Jahren vorgefallen ist, nach allem, was Sie sich geleistet haben, kann man doch mal akzeptieren, dass sich die Familie abwendet. Die ganze bürgerliche Existenz war weg, was hätten Sie da erwartet? Mit der ganzen Drogen- und Alkoholproblematik?“
Karlheinz Münzer, Vorsitzender Richter am Rottweiler Landgericht
„Idiot“ – und in Haft ganz zufrieden
Bemerkenswert: Als der Vorsitzende Richter auf die Erzählungen zum extremen Drogenkonsum ungläubig reagiert, lächelt der Mann. „Man kann auch als Pflegefachkraft ein Idiot sein“, sagt er, will damit erklären, dass er wusste, was er seinem Körper zumutet, es aber dennoch tat. Da lächelt der Mann erstmals. Seine Backen röten sich leicht. Es dringt der lustige, gesellige Kerl durch.
Doch nach der Brandnacht sitzt er in Untersuchungshaft. Und es geht ihm im Gefängnis gar nicht so schlecht. „Ich lebe in Haft besser als teilweise draußen. Ich habe es gar nicht so schlecht. Ich habe einen geregelten Ablauf, habe ein Bett, habe meine Arbeit“, sagt er. Jetzt wünsche er sich „eine spezielle Therapie“ und dass Ärzte „Behandlungswege finden“. Entziehungsanstalt, psychiatrisches Krankenhaus – das droht ihm.

„Papa wollte die Oma verbrennen“
Auf Nachfrage des Richters hilft der Mann mit, was eine mögliche gerichtlich angeordnete Zukunft angeht. Sein Problem sei eher psychischer Natur, sagt er freimütig. Er trinke eher deshalb, weil er psychisch krank sei. „Um mich selbst zu ertragen.“ Allerdings verstärkt dies die Probleme. Er wünscht sich jetzt die Teilnahme an einem Eltern-Kind-Projekt für Inhaftierte. Sie hätten allerdings Angst vor ihm, nachdem sie erfahren hätten, dass „Papa die Oma verbrennen wollte“.
Dem widerspricht er vor Gericht nicht. Aber er sagt auch nichts zu den Vorwürfen. Er gibt lediglich Hinweise. Im Alter von 13 Jahren habe seine Mutter ihm bereits erklärt, es wäre besser, er würde sich umbringen, „damit sie ihre Ruhe hat“. Und er sei in der letzten Zeit vor der Brandnacht „total abgefuckt“ gewesen. Obdachlos, breit, besoffen, kaputt. Seine Mama nennt er einmal eine „Scheiß-Mutter“, als sie ihn nicht ins elterliche Haus lassen will. Das erzählt er alles.
Das Schicksal der Mutter, oder: „Will ich verbrennen? Nein!“
In der Nacht, in der sie laut Anklage von ihrem Sohn angegriffen wurde, war die Mutter 72 Jahre alt. Nach der Attacke ist sie von den angerückten Rettungskräften versorgt und mit einem Rettungshubschrauber schwer verletzt in eine Klinik geflogen worden. Sie war laut den Ermittlungsbehörden in der Nacht zu Nachbarn geflohen.
Die heute 73-jährige Rentnerin schildert die Beziehung zu ihrem Sohn vor Gericht. Sie beschreibt ihn als sprunghaft, politisch wie im Essverhalten, als früh Drogensüchtigen, als Trinker, als einen mal rechts- mal linkspolitisch Engagierten, der auf der Straße lebte, der gelegentlich nach Hause kam, neu eingekleidet worden sei und dann wieder verschwand. Ein Hin und Her auch in den Beziehungen. Sie sei mit seinem Leben nicht einverstanden gewesen, habe das auch geäußert. Da kam es zum Bruch, man sah sich monatelang nicht mehr.
„Er war schon ein bisschen irre“, sagt sie über ihren Sohn. Dieser lauscht der Aussage mit unbewegter Miene, die verquollenen Augen zusammengekniffen. Und recht unbeteiligt.
So schildert die Frau die Brandnacht: In jener Nacht sei plötzlich das Licht im Schlafzimmer angegangen. Sie wurde wach, erblickte einen schwarz gekleideten Mann in ihrem Zimmer. „Du wirst heute Nacht sterben“, sagt dieser zu ihr. Sucht nach Geld, findet rund 50 Euro im mütterlichen Geldbeutel. Schlägt und tritt sie mehrfach, würgt sie, verletzt sie schwer, überschüttet sie mit Benzin und fragt sie, wie es sich anfühle, „so langsam innerlich zu verbluten“.
Flucht vor dem wahnhaften Sohn
Eine Tat im Wahn: Es falle ihm leicht, zu töten, er habe schon fünf Menschen umgebracht, sagt er seiner Mutter, er werde nun sie töten, weil er eine schlechte Kindheit gehabt habe. Und er werde das Haus abbrennen. „Ich habe gedacht: ‚Will ich verbrennen? Nein!'“, berichtet die Frau mit fester Stimme. Sie schafft es in jener Nacht unter Schmerzen und Mühen aus dem Haus, während er Benzin ausbringt. Sie sucht ihren Hund und findet ihn nicht. Schwer verletzt flüchtet sie in der eiskalten Nacht im Schlafanzug auf die Straße und findet dort keine Hilfe. Aber sie kann das etwas entfernt liegende Haus der Nachbarn erreichen und die Nachbarin wecken. „Er will mich töten, er will das Haus anzünden“, sagt sie ihr. Die Nachbarin bittet sie herein, ruft die Polizei. „Da war ich in Sicherheit.“
Auch der Hund. Dieser war in der Nacht außerhalb des Gebäudes aufgefunden worden, sagten Einsatzkräfte damals der NRWZ. Er habe nach Benzin gerochen, sei verängstigt, aber zutraulich gewesen. Eine Beamtin der Polizei, selbst Hundebesitzerin, kümmerte sich um das Tier.
Wie geht es ihr jetzt psychisch? „Es geht, ich habe sehr liebe Freunde“, berichtet die Frau auf die Frage des Richters. Mit dem Hund gehe sie heute zweimal am Tag spazieren. Doch die Tat wirkt bis heute körperlich wie psychisch nach. Vor Gericht würdigt sie Ihren Sohn keines Blickes.
Geschah die Tat im Suff?
Wie betrunken war der Sohn bei seiner mutmaßlichen Tat? Diese Frage, die der Vorsitzende Richter stellte, wird entscheidend sein für das Strafmaß und die Rechtsfolgen. „Er war ganz klar“, erinnert sich seine Mutter. Es habe nichts auf eine Alkoholisierung hingedeutet, „ich habe davon nichts bemerkt“. Er habe einen langen Monolog gehalten, warum er sie nun töten müsse, habe dabei nicht betrunken gewirkt.
Das Haus ist nicht mehr bewohnbar, es soll im kommenden Jahr wieder aufgebaut werden. Die Versicherung hat inzwischen eine beträchtliche Summe ausgezahlt.
Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt.